Zum Abschluss meiner kleinen Taktik-Serie geht es heute um die Defense. Als außenstehender Beobachter neigt man leicht dazu, das Feldspiel im Baseball zu unterschätzen – vielleicht nicht ganz zu Unrecht: In aller Regel hat bei der Entscheidung für oder gegen einen Spieler die Offensivleistung Vorrang. Für einen guten Batter, der sich im Abwehrspiel schwer tut, findet sich immer ein Platz im Team; ein überragender Feldspieler, der keine nennenswerte Schlagleistungen bringt, wird hingegen kaum eine große Profikarriere erleben. Am ehesten sind es noch die Positionen des Catchers und des Shortstops, auf denen für ein echtes Defensiv-Ass mal ein Auge zugedrückt wird, wenn der Batting Average zu wünschen übrig lässt. Allerdings sind das auch die Positionen, auf denen – von Relief Pitchern abgesehen – die niedrigsten Durchschnittsgehälter verdient werden.
Das Positionsspiel
Auf wenig zentralen Posten, etwa im rechten oder linken Outfield, kommt es ja nach Spielverlauf und Gegner vor, dass man einen ganzen Abend lang scheinbar kaum etwas zu tun hat, weil der Ball im ganzen Spiel vielleicht nur ein- oder zweimal in die entsprechende Richtung fliegt. Tatsächlich kann man sich aber auf keiner Feldposition einen faulen Lenz machen, denn die Aufmerksamkeit jedes Feldspielers ist zu jeder Zeit gefordert. Er muss wissen, wie viele Outs im jeweiligen Inning bisher erzielt wurden; er muss wissen, wie und wohin der aktuelle Batter am häufigsten schlägt; und er muss vor allem in jeder möglichen Spielsituation und bei jedem möglichen Vorkommnis wissen, welche Aufgabe er hat. Eine Aufgabe hat er nämlich keineswegs nur dann, wenn der Ball in seine Nähe kommt. Vielmehr hat jeder Spieler in jeder Situation etwas zu tun – wenn es nicht das Fangen oder Aufnehmen des Balls ist, dann ist es zum Beispiel das Abdecken einer Base oder das Absichern (Backup) hinter einem anderen Spieler für den Fall, dass der Ball an diesem vorbei geht.
Im Kinder- und Jugendbereich werden die Feldpositionen häufig gewechselt und durchprobiert. Das fördert zum einen das Verständnis für die verschiedenen Aufgaben und Anforderungen der Positionen und trägt zum anderen dazu bei, die Talente der jeweiligen Spieler zu entdecken. Im Zuge ihrer Entwicklung spezialisieren sich die Spieler immer mehr auf eine bestimmte Position oder auf eine Gruppe von Positionen wie Outfield, mittleres Infield usw.
Die Einstufung, wer für welche Position am geeignetsten ist, richtet sich zwar vor allem nach der individuellen Athletik und Spielintelligenz des jeweiligen Spielers. Eingeschränkt wird die Auswahl aber durch seine Händigkeit, denn nicht jede Position ist für Rechts- und Linkshänder gleichermaßen geeignet. Als Catcher wird man so gut wie nie einen Linkshänder sehen. Der Hauptgrund dafür besteht darin, dass der Wurf zur zweiten Base für den Catcher deutlich schwieriger ist, wenn auf der Seite seines Wurfarmes ein Batter steht. Da es deutlich mehr rechtshändige Batter gibt, hätte ein linkshändiger Catcher dieses Problem sehr viel häufiger. Außerdem haben linkshändige Catcher einen echten Nachteil, wenn sie nach dem Wurf eines Feldspielers an die Homeplate einen Runner taggen sollen: Sie verlieren wertvolle Zeit, da sie ihren Körper weiter drehen müssen, um den Tag am Baserunner anzubringen. Man wird auch in aller Regel keinen linkshändigen Second Baseman, Shortstop oder Third Baseman sehen, da dieser beim Aufnehmen eines Groundballs zwangsläufig die falsche Richtung – von der ersten Base abgewandt – einschlägt und somit mehr Zeit für den Standardwurf benötigt.
Als First Baseman hingegen sieht man häufig einen Linkshänder, denn dieser hat mehrere Vorteile: Nach dem Fang eines Pick-off-Wurfes hat sein Handschuh einen kürzeren Weg in die Bahn des zurück hechtenden Baserunners; die meisten geschlagenen Bälle kommen rechts von ihm an, also auf seiner Handschuhseite, und sind dadurch leichter fangbar; nach der Aufnahme des Balles steht der linkshändige First Baseman automatisch in einer günstigen Position, um zur zweiten oder dritten Base zu werfen.
Das Formationsspiel
Aus anderen Mannschaftssportarten kennt man es, dass unterschiedliche Taktiken und Philosophien der Mannschaften beziehungsweise ihrer Trainer mit unterschiedlichen Formationen einhergehen. Footballteams treten zum Beispiel entweder mit drei Linebackern und vier Defensive Linemen an oder umgekehrt; beim Fußball setzen die einen auf eine Viererkette in der Abwehr, andere auf eine Formation mit zentralem Abwehrspieler. Solche dauerhaften Variationen gibt es im Baseball nicht. Die neun Feldpositionen sind immer die gleichen. Zwar dürfen sich die Feldspieler – außer dem Pitcher und dem Catcher – auf dem Feld frei positionieren und das nutzen sie auch, indem sie im Umkreis einiger Meter je nach Spielsituation und den bekannten Tendenzen des aktuellen Schlagmanns ständig ihr Stellungsspiel variieren. Große Abweichungen von den Standardpositionen gibt es jedoch nur in bestimmten Spielsituationen. Ein paar Beispiele für solche Situationen:
– Der Infield Shift: Normalerweise stehen je zwei Infielder links (3B,SS) und rechts (2B, 1B) von der zweiten Base. Von einem Infield Shift spricht man, wenn sich drei oder mehr Infielder auf einer Seite der zweiten Base positionieren. Es handelt sich dabei um ein Mittel, die Räume insbesondere für linkshändige Pull-Hitter eng zu machen, das heißt für Schlagmänner, die den Ball so gut wie immer auf die Feldseite ihrer dominierenden Hand schlagen. Die klassische Form des Shifts besteht darin, dass der Third Baseman sich dort positioniert, wo sonst der Shortstop steht; der Shortstop rückt auf die andere Seite der zweiten Base; der Second Baseman rückt ein Stück in Richtung Outfield, etwa gleich weit von der ersten und zweiten Base entfernt; der First Baseman spielt eng an der Foullinie; die Outfielder behalten ihre Positionen, postieren sich aber ebenfalls alle etwas weiter rechts als sonst. Einige Teams lassen beim Shift den Shortstop da, wo er immer ist, und lassen stattdessen den Third Baseman rechts der zweiten. Base spielen. Es gibt diverse weitere Varianten des Shifts, darunter auch solche gegen rechtshändige Batter. Obwohl der Shift leicht zu überlisten scheint, indem man den Ball “einfach” mal zur anderen Seite schlägt oder buntet, gelingt dies den betreffenden Battern erstaunlich selten. Aufgrund dieser Erkenntnis ist der Shift in den letzten Jahren zunehmend populär geworden. In der Saison 2018 begegneten die MLB-Teams linkshändigen Battern in rund 30% der Fälle mit einem Infield Shift, rechtshändigen Battern immerhin noch zu rund 9%. Extreme Formen des Shifts, bei dem sich nicht nur das gesamte Infield sondern auch das Outfield auf eine Seite des Spielfelds konzentriert, kommen nach wie vor eher selten vor. Ein berühmter Hitter, gegen den diese Taktik – mit wechselndem Erfolg – eingesetzt wurde, war Ted Williams. Man nennt die extreme Variante des Shifts deshalb auch Ted-Williams-Shift.
– Shallow Outfield / Outfield in: “Shallow” oder “in” bedeutet, dass die betreffenden Spieler sich deutlich näher zur Homeplate positionieren als sonst. Nach innen rückende Outfielder sind in zwei sehr unterschiedlichen Situationen zu beobachten. Eine davon ist, dass ein schwacher Batter am Schlag ist, von dem mit relativ hoher Sicherheit kein harter und weiter Ball zu erwarten ist. Die zweite besteht darin, dass man sich bei unentschiedenem Spielstand in der unteren Hälfte des neunten Innings (oder eines Extra-Innings) befindet, ein Runner an der dritten Base steht und weniger als zwei Outs erzielt wurden. In diesem Fall ist das Spiel bei einem weiten Schlag ins Outfield verloren, denn selbst wenn der Ball gefangen wird, wird der Runner nach seinem Tag-up an der dritten Base den siegbringenden Run für den Gegner scoren. Daher gibt man das Outfield ganz auf und nutzt die Outfielder dafür, alle Lücken im Infield zu stopfen, um wenigstens einen Groundball erfolgreich verteidigen zu können.
– Corners in: Diese Formation dient vor allem der Vermeidung eines Sacrifice Bunts. Die beiden Corner Infielder, also der First Baseman und der Third Baseman, rücken näher an die Homeplate heran, um einem Bunt zügig entgegen zu gehen und zu verhindern, dass ein Baserunner von der dritten Base scoren kann.
Sehr interessant finde ich besonders die Eignung für verschiedene Positionen abhängig ob jemand Links- oder Rechtshänder ist. Macht total Sinn, aber habe darüber noch nie so richtig nachgedacht.
Liege ich mit der Einschätzung richtig, dass ein Linkshänder im Infield am ehesten als Second Baseman eingesetzt wird, da er in der Regel etwas mehr Zeit hat für den Wurf zur ersten Base und ihm gleichzeitig ein Wurf zur zweiten Base (also dem Shortstop für einen möglichen DoublePlay) leichter fällt?
Mit der Einschätzung liegst du leider nicht richtig – wenn man im Infield einen Linkshänder sieht, dann eigentlich nur als First Baseman. Von allen anderen Positionen aus geht die große Mehrheit der Würfe zur ersten Base und das funktioniert deutlich schneller und flüssiger, indem man den Ball mit der linken (Handschuh-)Hand aufnimmt und mit der rechten wirft. Um linkshändig zur ersten Base zu werfen, müsste man eine zusätzliche Körperdrehung einbauen, was insbesondere beim Double Play ganz entscheidende Sekundenbruchteile kosten würde. Ein zweiter Grund, dass es so gut wie keine linkshändigen Second Basemen gibt, ist das Tag Play: Um von der Base aus einen slidenden Gegenspieler zu taggen, muss der Rechtshänder lediglich seinen Handschuh ausstrecken. Der Handschuh des Linkshänders hat einen deutlich weiteren Weg von der einen Seite seines Körpers zur anderen. Wenn man in der MLB-Geschichte der letzten hundert Jahre nach linkshändigen Infieldern außer First Basemen sucht, so findet man auf jeder der Positionen 3B, 2B, SS und Catcher eine Handvoll einzelner Auftritte von Linkshändern in besonderen Situationen (nach einer Einwechslung, als Verletzungsvertretung etc.), aber keinen einzigen Lefty, der regelmäßig eine dieser Positionen gespielt hat.
Wirklich interessant und danke für die sehr ausführliche Antwort.
Ich habe meine Frage wohl etwas falsch formuliert. Mein Gedankengang ging in die Richtung, auf welcher der Infield Positionen (First Base ausgenommen – das wurde im Artikel ja schon ausführlich besrpochen – also 3B, SS oder 2B) die Nachteile am wenigsten zum tragen kämen. Da hätte ich mir vorstellen können, dass die von dir beschriebenen Nachteile an der Second Base am wenigsten schlimm wiegen, da die Distanz zur ersten Base am geringsten ist und damit die Zeit um mich zu drehen am größten. An den Tag Play habe ich dabei gar nicht gedacht!
Das es in der Geschichte wirklich keine Linkshänder auf diesen Positionen gab, war mir nicht klar. Da habe ich wieder was gelernt – danke!